Bundesweit die ersten Anlagen, die instandgesetzt werden
Die Sanierung der Betontürme hat begonnen
Hardheim-Gerichtstetten. Kleine Ursache, große Wirkung: Weil vor rund zehn Monaten in einem Betonsegment der Hybridtürme des Windenergieanlagenherstellers Enercon kleine Risse festgestellt wurden, müssen nun bundesweit gut 70 Anlagen der betroffenen Typreihe aufwendig saniert werden. Wie aufwendig, das ist seit einigen Tagen im Hardheimer Ortsteil Gerichtstetten zu sehen, wo vier Anlagen des Typs E-141 EP4 betroffen sind. Nach einer Pilotanlage in Neudersum im Emsland sind die Windräder des Bürgerwindparks Gerichtstetten bundesweit die ersten, die saniert werden.
Bei einem Vor-Ort-Termin stellten Bauleiter Andy Riemer von der Windstärke 8 GmbH (Oldenburg), der das Projekt im Auftrag des Herstellers Enercon (Aurich) betreut, und Windpark-Geschäftsführer Harald Schmieg am Donnerstag das Sanierungskonzept vor und beleuchteten auch die Vorgeschichte.
Seit knapp einem Jahr stehen die vier 159 Meter hohen Anlagen. Im Juni 2018 hätten sie eigentlich in den regulären Betrieb übergehen sollen, doch bei einer Kontrolle wurden die Schäden festgestellt. Dabei handle es sich um kleine, vertikale Risse im obersten Betonsegment in 108 Metern Höhe. Dort befindet sich der Übergang zwischen Beton- und Stahlrohrturm. Weshalb die Schäden – übrigens bei allen betroffenen Anlagen – genau dort auftreten, ist weiter unklar.
Die Firma Enercon, Deutschlands größter Hersteller von Windenergieanlagen, ließ in der Folge im Sommer und Herbst 2018 bundesweit alle Anlagen der Typen E-126 EP4 und E-141 EP4 mit 159 Meter Nabenhöhe überprüfen. Die betroffenen Anlagen laufen seither nur in einem leistungsreduzierten Betrieb. Die Standsicherheit sei zwar zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, betont der Hersteller. Nichtsdestotrotz musste ein Sanierungskonzept erarbeitet werden, für das sogar ein spezieller Höchstdruck-Wasserstrahlroboter entwickelt wurde.
Bundesweit die ersten Anlagen, die instandgesetzt werden
Los ging die Instandsetzung mit Arbeiten im Innern der Türme. In dieser Woche hat die Außensanierung begonnen. Der Bürgerwindpark Gerichtstetten übernimmt dabei eine bundesweite Vorreiterrolle, denn neben der Pilotanlage im Emsland, bei der die Sanierung gerade noch läuft, sind die vier Hardheimer Windräder die ersten, die saniert werden, berichtet Andy Riemer, der über gut 15 Jahre Erfahrung in der Windkraftbranche verfügt.
Was vor Ort zu sehen ist, ist beeindruckend: Mit einer Winde wird die so genannte Außenbefahranlage mit dem Wasserstrahlrobo-ter nach oben gezogen. In 108 Metern Höhe beginnt der Roboter mit bis zu 2800 Bar Druck den schadhaften Beton abzustrahlen – und zwar drei bis fünf Zentimeter tief. Die betroffene Fläche ist rund 1,20 bis 1,50 Meter breit und zieht sich um den kompletten Turm herum. Das beim Abstrahlen entstehende Schmutzwasser wird gereinigt und wiederverwendet, so dass ein geschlossener Wasserkreislauf entsteht, betont der Bauleiter. Insgesamt sind rund 15 Arbeiter auf der Baustelle tätig.
Was dort zudem auffällt, sind die strengen Sicherheitsvorschriften. Am Wasserstrahlroboter ist ein Prallschutz angebracht, damit keine Betonbrocken durch die Luft wirbeln und so womöglich zu gefährlichen Geschossen werden könnten. Die gesamte Sanierung wird von Statikern und weiteren Experten überwacht – und zwar nicht nur vom Hersteller, sondern auch im Auftrag des Bürgerwindparks. „Die Sicherheit steht für uns ganz oben“, betont der Bauleiter und denkt dabei auch an seine Kollegen, die in schwindelnder Höhe den Einsatz des Roboters kontrollieren und steuern – und zwar je zwei Arbeiter in der Gondel und in der Außenbefahranlage.
Nach dem Abstrahlen soll nächste Woche eine Stahlmanschette nach oben gezogen, an der schadhaften Stelle befestigt und mit einem Spezialmörtel befüllt werden. Dann sollen die Risse endgültig Vergangenheit sein: „Das hält dann die nächsten 30 Jahre“, ist sich Bauleiter Andy Riemer sicher.
Bis wann die Arbeiten an den vier Anlagen in Gerichtstetten genau abgeschlossen sein werden, lasse sich noch nicht sagen, erklärt Andy Riemer. Unwägbarkeiten wie Wind und Wetter – beispielsweise darf nur bei Windgeschwindigkeiten unter 10,7 Meter pro Sekunde am Turm gearbeitet werden – lassen eine genaue Prognose nicht zu. Sechs bis acht Wochen werden aber wohl noch ins Land gehen.
„Wir hoffen, dass der Windpark zur Jahresmitte in den regulären Betrieb übergeht“, sagt Harald Schmieg, Kopf und Motor des Bürgerwindparks, an dem gut 150 Kommanditisten aus der näheren und weiteren Region beteiligt sind. Dass die vier Anlagen erst mit einem Jahr Verzögerung grünen Strom ins Netz einspeisen werden, sei zwar ärgerlich, habe aber keine finanziellen Folgen für die Bürger, die in das Projekt investiert haben: Für die finanziellen Einbußen, die mit den Schäden an den Türmen zusammenhängen, stehe der Hersteller gerade. Nach der erfolgreichen Sanierung könnte es dann also schon bald heißen: Ende gut, alles gut!
© Rhein-Neckar-Zeitung, Mittwoch, 17.04.2019